Mein erster Triathlon
„Darf ich dir eine Gebetskarte geben?“, ich blicke zur Seite und schaue in das freundliche Gesicht eines Mannes, der mir eine kleine Karte reicht. „Sie gibt dir Kraft“, sagt er. Ich nehme die Karte dankend entgegen. Etwas göttliche Unterstützung wird mir bei meinem ersten Triathlon nicht schaden, denke ich mir und schiebe mein Rennrad weiter zum Check-in.

Die 40 Kilometer auf dem Rad haben sich zum Schluss ganz schön gezogen.
Ingolstädter Triathlon
Ein paar Wochen zuvor habe ich mich für den Ingolstädter Triathlon angemeldet. Seit längerer Zeit habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, an einem teilzunehmen und morgen wird es tatsächlich soweit sein: Zusammen mit ein paar anderen hundert Teilnehmern werde ich zuerst 1,5 Km schwimmen, 40 Km Radfahren und schließlich noch 10 Km Laufen. Die Schwimmdistanz absolvieren die Athleten im Baggersee, danach geht es in die nahgelegene Wechselzone aufs Rad, von wo aus man durch das Ingolstädter Hinterland radelt. Den Abschluss macht ein Lauf um den Baggersee.
Heute sind meine Freundin Annette und ich mittags nach Ingolstadt gefahren, um die Startunterlagen abzuholen und mein Rennrad in die Wechselzone zu bringen, wo es die Nacht über stehen wird. „Du bist ganz schön bleich“, sagt sie, während ich mein Rennrad weiterschiebe. Ich blicke nach links über den glitzernden Baggersee. Ich habe zwar in den vergangenen Wochen etwas trainiert, aber ein guter Schwimmer war ich noch nie. Meinen Bruststil habe ich durchs Training etwas verbessert, aber Kraulen? Nein, dafür hat es nicht gereicht. Als ich nun über diesen großen Baggersee blicke, erscheint es mir fast unmöglich, dass ich die Schwimmdistanz durchstehe. Ich verjage den Gedanken, lächle Annette zu und wir gehen weiter.
Kurz darauf kommen wir bei der Wechselzone an. Einer der Wettkampfrichter überprüft kritisch Helm und Rennrad. Insbesondere der Helm darf nicht beschädigt sein. Als er sichergestellt hat, dass alles in Ordnung ist, lässt er mich in die Wechselzone. Annette muss außerhalb warten.
Ich bringe mein Rennrad zum Platz mit der Startnummer 988, welche ich mit den Unterlagen kurz zuvor bekommen habe. Sorgfältig richte ich meine Ausrüstung her. Helm auf den Lenker, Rad- und Laufschuhe kommen in eine Tüte. Die Socken lege ich jeweils einzeln schon in die Laufschuhe. Nach einem letzten prüfenden Blick drehe ich mich um und kehre zu Annette zurück.
Böse Überraschung
Der nächste Morgen beginnt früh. Um sechs Uhr reißt mich mein Wecker aus dem Schlaf. Ich stehe auf, frühstücke ordentlich, packe meine Sachen und schon sitzen Annette und ich wieder im Auto Richtung Ingolstadt. Nachdem wir bei einem nahegelegenen Parkplatz das Auto abgestellt haben, laufen wir zum Baggersee. Auf dem Weg komme ich mit einem anderen Athleten ins Gespräch. Er fragt mich, was für eine Startnummer ich habe. Ich überlege kurz und antworte „988“. Er schaut mich etwas überrascht an. „Dann startest du ja im Spitzenfeld, nicht übel“, sagt er. Jetzt ist es an mir, überrascht zu schauen. „Wie kommst du denn darauf?“, sage ich. „Eigentlich ist es mein erster Triathlon und ich bin schon froh, wenn ich die Schwimmdistanz einigermaßen überstehe“. Wir laufen weiter und ich merke, wie sich Annette ein Grinsen verkneift. „Naja, also die Startnummern 800 bis 1000 glaube ich, sind für die Spitzenstarter reserviert“, sagt er. „Scheiße, dann muss irgendwas bei der Anmeldung schiefgelaufen sein“, antworte ich und wir laufen weiter. Mir wird schlecht. Annette streichelt mir den Arm, aber ihr Grinsen ist nur noch breiter geworden. „Das wird schon“, sagt sie aufmunternd und lacht. Ich schaue sie böse an und gehe zügiger.
Der Triathlon
Als wir am Baggersee angekommen sind, springe ich direkt ins Wasser, um mich einzuschwimmen. Mir fällt sofort auf, dass ich der einzige bin, der Brust schwimmt. Ich komme mir etwas fehl am Platz vor. Wenn ich mit den ganzen Profis starte, kann ich mich ja mit meinem Brustschwimmen nur lächerlich machen, denke ich mir. Als ich wieder aus dem Wasser gestiegen bin, sieht mir Annette meine Zweifel wahrscheinlich an und sagt: „Das fällt doch gar nicht auf. Du startest mit einigen Dutzend Leuten. Hauptsache zu kommst ins Ziel.“ Ich bin mir nicht sicher, ob sie es ernst meint. Aber ich habe keine Zeit mehr, mir Gedanken zu machen, denn gleich beginnt der Wettkampf.

Gleich geht’s los.
Kurz drauf stehe ich an einem kleinen Strandabschnitt umringt von durchtrainierten Triathleten, die kaum noch was auf der Stelle hält. Ich stehe etwas abseits, um niemanden beim Start im Weg zu stehen. Im Rücken spüre ich die Blicke von hunderten Zuschauern, die sich versammelt haben, um den Schwimmstart zu sehen. Dann ertönt eine Stimme aus den Lautsprechern: 3, 2, 1. Knall! Ein Pistolenschuss dröhnt und alle stürzen sich ins Wasser. Ich stürze hinterher, mich hat der Ehrgeiz gepackt. Nach den ersten Schwimmzügen hat sich das restliche Feld schon deutlich von mir abgesetzt. Aber ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen und schwimme zügig weiter. Mit der Zeit fühle ich mich wie in Trance, mein Kopf ist leer und ich schwimme eine Boje nach der anderen ab. Plötzlich bemerke ich, wie das Wasser um mich herum anfängt zu kochen. Das zweite Starterfeld hat mich eingeholt und die Athleten pflügen an mir kraulend vorbei. Der ein oder andere Fuß landet in meinem Gesicht, Hände schlagen mir in Rücken aber ich schwimme unbeirrt weiter.

Auf dem Weg in die Wechselzone haben zahlreiche Zuschauer die Athleten angefeuert.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich am Ziel und steige aus dem Wasser. Mein ganzer Körper fühlt sich an, als wäre er aufgepumpt worden und mit weichen Beinen jogge ich in die Wechselzone. Dort steht mein Fahrrad ganz einsam. Alle anderen Athleten meines Starterfelds sind schon unterwegs. Ich ziehe Schuhe und Helm an und schiebe mein Rad zum Start. Schon bei den ersten Tritten spüre ich, dass meine Beine nicht mehr ganz frisch sind. Aber ich bin ganz gut unterwegs und die Landschaft fliegt an mit vorbei. Am Straßenrand stehen zahlreiche Zuschauer, die die Athleten anfeuern, was einem nochmal extra motiviert. Bei einigen Anstiegen muss ich aus dem Sattel aufstehen und meine Beine brennen immer stärker.

Einige Anstiege haben die Radstrecke relativ anspruchsvoll gemacht.
Als ich wieder in die Start-Ziel-Zone einfahre, habe ich etwas Schwierigkeiten meine Schuhe von den Clickpedalen zu lösen und ich stürze fast. Aber es geht nochmal gut. Ich bringe mein Rad zurück in die Wechselzone und ziehe meine Laufschuhe an. Schon bei den ersten Schritten wird mir klar: Das werden die härtesten 10 Kilometer, die ich bisher gelaufen bin. Ich fühle mich komplett ausgelaugt, meine Beine bestehen nur noch aus Schmerz und die Temperaturen von knapp 30 Grad tun ihr übriges. Ich versuche den Schmerz auszublenden, was die ersten fünf Kilometer ganz gut funktioniert. Doch bei Kilometer sieben breche ich ein. Ich fange an zu gehen. Doch nur kurz. Plötzlich greift mich ein Athlet an der Hand, zieht mich mit und brüllt: „Komm schon, du packst das!“ Seite an Seite laufen wir die restlichen drei Kilometer bis ins Ziel. Beim Zieleinlauf nehme ich nochmal alle meine Kräfte zusammen. Ich fühle mich wie im Tunnel. Als ich durchs Ziel gelaufen bin, gibt mir mein Motivator eine nasse Umarmung. Ich bin unfassbar glücklich. In dem Moment wird mir klar: Das war nicht mein letzter Triathlon